Odessa zu Zeiten des Krieges – Ein persönlicher Reisebericht von Frida Dentiak

Aus beruflichen Gründen musste ich nach Odessa reisen. Jemand mit dem ich ab und zu zusammenarbeite und den ich ansonsten schon lange kenne, lud ein zum dreijährigen Bestehen seiner deutschen Niederlassung in Odessa/Ukraine. Und das zu Kriegszeiten! Gründe zu feiern gibt es immer, auch im Krieg, denn das hebt grundsätzlich die Moral. Also wollte ich dabei sein, die gute Sache mitunterstützen und Putin den Fuckfinger zeigen. Als Deutscher heißt es die Freundschaft zur Ukraine aus Tradition zu pflegen, denn im Zweiten Weltkrieg fochten Freiwillige aus der Ukraine im sechsstelligen Bereich auf unserer Seite.

Es ist derzeit natürlich etwas beschwerlich, in die Ukraine zu reisen. Die Flughäfen sind für den privaten Luftverkehr gesperrt. Per Auto oder über andere Länder lässt es sich aber auch per Flieger mit anschließender Weiterfahrt einreisen. Ich flog also nach Chisinau/Moldawien und fuhr von dort aus per Bus weiter nach Odessa, was ungefähr vier Stunden dauerte. In Chisinau begrüßten mich am Flughafen einige sehr freundliche Straßenhunde, was mir ein wenig das Herz brach. Sie waren optisch in einem guten Zustand, jedoch stimmt es mich traurig, so etwas überhaupt zu sehen. In Deutschland haben wir offenbar ein komplett anderes Verhältnis zu Tieren.

Mit dem Bus in die Ukraine

Der Weg von Moldawien nach Odessa führt durch steppenartiges, leicht hügeliges und relativ karg aussehendes Land, wobei der Boden gut sein soll zum Anbau von Weizen. Das kalte Wetter konkurrierte mit dem strahlend blauen Himmel. Eigentlich viel zu schön für Krieg. Ab 17 Uhr wurde es rapide dunkel und ich fuhr mit dem Bus Richtung Grenze Moldawien-Ukraine. An der Grenze dauerten die Einreisekontrollen eine halbe Stunde. Ein Grenzer kam in den Bus und sammelte alle Pässe ein. Wir fuhren mit einem kleinen weißen Transporter, in dem etwa acht Personen Platz hatten. Ein Mann sprach etwas deutsch. Als wir hinter der Grenze waren und ukrainischen Boden betraten, bezahlte ich 25 € für meine Fahrt nach Odessa. Ich fand das richtig günstig, mich erstaunte der Preis, weil mir die Fahrt erschien, als säße ich in einem Taxi: Ledersitze, Beinfreiheit und Rauchverbot, ich machte mir den Sitz nach hinten und schlief ein wenig. Irgendwann gab der Fahrer tierisch Gas, wovon ich schlagartig wach wurde. Wir waren kurz vor Odessa und unser Fahrer zeigte auf ein Feld rechts von uns, dort strahlten riesige Scheinwerfer den Himmel ab. Mir wurde erklärt, dass sie nach Drohnen Ausschau halten, um sie zu eliminieren.

Weiter ging es Richtung Odessa, kurz vor Mitternacht kam ich am Bahnhof an. Meine Freunde riefen mir ein Uber. Es war in drei Minuten da, ich stieg ein, als die Sirenen anfingen zu heulen. Mein Fahrer gab wieder ordentlich Gummi und erklärte, dass Raketen unterwegs sind. Ich lachte und sagte, hier wird man ja nett begrüßt. So setzte er mich am Hotel ab und ich meldete mich per Telegram bei meinem Freund, der in Odessa lebt und dort eine Firma betreibt. Er sagte mir, dass jetzt quasi Sperrstunde ist, aber dass sie zwei Straßen weiter von meinem Hotel entfernt in einer Bar sitzen und noch etwas trinken. Ich gab die Adresse bei Google Maps ein und ging trotz Raketenalarm alleine zu Fuß durch die Stadt. Odessa war totenstill und leergefegt. In der Sperrstunde geht eigentlich niemand auf die Straße, denn es gibt Ärger mit dem Militär, wenn sie einen erwischen. Ich lief trotz der Ausgangssperre meinen Weg zu der besagten Bar, es waren ja nur fünf Minuten Fußweg. Dort angekommen, bekam ich erstmal ein leckeres gezapftes ukrainisches Bierchen in die Hand gedrückt und wurde von meinem Freund und seinen Begleitern herzlich begrüßt. Ich wunderte mich über die ausgelassene Stimmung trotz des Alarms – eine Tatsache, mit der ich noch öfter in Berührung kommen sollte.

Opernhaus von Odessa

Rathaus von Odessa

Prächtige Baukunst

Ausgelassene Stimmung trotz Krieg, Raketen und Drohnen

Draußen auf der Straße erloschen die Laternen. Ich weiß nicht, ob das in Odessa schon immer so gemacht wurde oder nur jetzt wegen den Krieges. Wir beschlossen jedenfalls, das Licht in der Bar ebenso auszumachen, Kerzen anzuzünden und noch ein Bier zu trinken. Das war wohl eine Vorsichtsmaßnahme, um vom Militär nicht erwischt zu werden. Nach zwei Getränken zapfte der Wirt uns noch ein Wegbier und komplimentierte uns hinaus, denn auch er wollte die Situation nicht ausreizen und Ärger riskieren. So zogen wir alle in Richtung unserer Unterkünfte und verabredeten uns für den nächsten Tag. An der Hotelrezeption erfuhr ich, dass die Raketen allesamt vor Odessa abgeschossen werden konnten. Ich war sehr müde und kroch in mein riesiges Hoteldoppelbett. Ich freute mich auf den nächsten Tag.

Beim Frühstück traf ich Deutsche (auch welche aus Österreich) und Georgier, die auch zu der Firmenfeier am Abend eingeladen waren. Wie ich erfuhr, hatte es in den Morgenstunden nochmal Sirenenalarm gegeben, den ich wohl verschlafen hatte. Ich dachte kurz darüber nach, ob ich leichtsinnig bin oder zu tief schlafe. Doch auch die anderen Hotelgäste waren allesamt in ihren Betten geblieben, keiner hat den sogenannten „Shelter“ (Bombenkeller) aufgesucht. Im Hotelfahrstuhl hing ein Infozettel, der dazu aufruft, den hoteleigenen Schutzkeller aufzusuchen, wenn Sirenen losheulen, doch anscheinend wird das Angebot nicht sonderlich gut angenommen. Ich weiß nicht wieso, aber ich fühlte mich trotz des Krieges nicht unsicher. Wahrscheinlich denken das alle, bis es einmal tatsächlich kracht. Die Menschen im Hotel strahlten jedenfalls alle eine Seelenruhe aus.

Schießen, Shopping und Raketenschutzschirme

Nach dem Frühstück ging ich mir die Beine vertreten und spazierte durch die Straßen, bis ich eine Shootingranch entdeckte und dort einfach mal klingelte. Das Glück war mir hold und sie ließen mich ein. Drinnen sprach jemand englisch und ich fragte, ob ich ein wenig schießen dürfe. Das ganz normale Touriprogramm eben. So konnte ich für umgerechnet 15 € zwei Magazine mit einer Glock 19 schießen. Mein Ergebnis war zufriedenstellend, da hat sich das mit der goldenen Schützenschnur bei der Bundeswehr doch gelohnt.

Danach besuchte ich meinen Kumpel in seiner schönen Stadtwohnung in Odessa. Wir beschlossen zu einem Armyshop zu gehen, damit ich mir Patches als Andenken holen kann. Im Laden hing eine Asov-Fahne, ich war direkt begeistert, sie war leider nicht zu verkaufen. Der Verkäufer hatte eine Frisur à la Sommer ‘37 und offenbar die richtige Weltanschauung. Nach meinem Einkauf von (natürlich ausschließlich BRD-konformem) Kram beschlossen wir, das Auto meines Freundes zu holen und an den Hafen zu fahren.

Am Hafen schaute ich mir ein riesiges Hotel an, welches von den russischen Angreifern zerbombt wurde. Mir wurde ganz anders. Die armen Urlauber, die da drin waren, als das passierte, der Anblick schockte mich. Wenn im Krieg Fabriken zerstört werden oder am Hafen Umladestationen, dann ist das etwas, mit dem zu rechnen ist, jedoch handelte es sich hier um ein Hotel am Strand. Plötzlich wurde ich von Sirenen aus meinen dunklen Gedanken gerissen. Mein Kumpel wurde nervös und sagte: „Das ist aber gar nicht gut, wir müssen schnell weg vom Hafen!“ Wir stiegen ins Auto, er gab Gas wie bei GTA und nach drei Minuten waren wir aus dem Hotspot für Raketen raus. Er schaute auf sein Handy und in einen Telegram-Kanal. Dort stand, dass der ukrainische Raketenabwehrschirm die Raketen noch über dem Schwarzen Meer von Odessa abgefangen hat. Ich fühlte mich jedoch gar nicht erleichtert, in mir war alles kalt und ich war am ehesten irritiert von diesen Zuständen. Vielleicht nenne ich es Kriegsgefühl.

Ein Stück Frieden mitten im Krieg: Passanten spazieren am Strand von Odessa

Alltag im Krieg

Das Kriegsgefühl begleitete mich unterbewusst, still und leise anklopfend, und erinnernd die gesamte Zeit in Odessa. Abends ging ich auf eine Firmenfeier und Spendengala. Dort wurde ein Jubiläum gefeiert, doch statt Geschenke zu verteilen sammelte der Gastgeber Geld ein, um für die Ukraine Drohnen zu kaufen. Am Tisch saß ich mit Pavlo, einem Veteranen und militärischen Helden. Die Russen haben ihm den Arm zerschossen, aber Pavlo lächelt, denn er hat überlebt. Er hat geopfert. Da war es wieder, dieses dumpfe und kalte Gefühl. Wer würde bei uns heute noch freiwillig für das Berliner Regime kämpfen und sich die Arme kaputtschießen lassen? Fast niemand, würde ich behaupten. Das Regime ist ein seelen- und identitätsloses System, für das es sich nicht lohnt zu sterben und zu leiden. Ich schob meine finsteren Gedanken zur Seite und feierte mit meinen Freunden bis tief in die Nacht würdig ein tolles Jubiläum. Es kam so viel Geld zusammen, dass gleich zwei Drohnen gekauft werden konnten.

Ich schlief durch bis in den späten Morgen und verpasste glatt das Frühstück im Hotel und auch den nächtlichen Alarm. Es waren russische Raketen Richtung Odessa gefeuert worden, und sie wurden wie beim letzten Mal abgeschossen. Mich gruselte der Gedanke, dass ich schon so abgestumpft war über die paar Tage in Odessa, dass ich davon nicht einmal wach wurde. Das ist fast schon als nonchalanter Schlaf zu bezeichnen. Ich weiß aber auch ehrlich gesagt nicht, ob ich in einen Shelter gegangen wäre, oder ob ich mich aus Schlaftrunkenheit nicht sowieso einfach umgedreht hätte, wahrscheinlich letzteres.

Gegen Mittag trafen sich ein paar versprengte Gäste der Firmenfeier und Firmenangestellte aus verschiedenen Ländern vor dem Hotel für einen Stadtrundgang mit Hafenführung. Ich fand das ganz schön makaber, weil ich ja bereits einmal tagsüber draußen am Hafen scharwenzelte, als die Sirenen zu heulen begannen. Irgendwie geht aber das normale Leben in Odessa einfach weiter. Die Leute sind an dieses unterschwellige Kriegsgefühl im Bauch gewöhnt und machen einfach normal weiter. Sie gehen feiern, arbeiten, spazieren, ins Museum und sonnen sich am Strand. Klingt merkwürdig, ist aber so. Wie viele Jahre soll denn auch das Leben still stehen im Krieg? Geht doch gar nicht, es muss ja weitergehen. Das machen die Ukrainer genau richtig, und dafür liebe ich dieses Land und dieses Volk.

Wir bekamen eine wundervoll fundierte Stadtführung, bei der ich erfuhr, dass Odessa so heißt, weil Katharina die Große ein Fan der griechischen Kultur war und gerne Städtenamen mit weiblichen Endungen kreiert hat. So wurde aus Odysseus Odessa. Diese und ganz viele weitere Anekdoten erzählte uns die extra gebuchte Stadtführerin auf Deutsch. Überhaupt ist die Stadt auch von vielen Deutschen mitgeprägt worden, denn hier war schon von Beginn an ein Umschlagplatz für Weizen und Korn, und es gab schon sehr früh deutsche Handelsvertretungen in Odessa. Die Stadt sieht sowieso von der Bauweise her absolut europäisch und deutsch aus. Jugendstil und Gründerzeit kann man an Gebäuden entdecken, und besonders viel Stuck und eingearbeitete Figuren an den Fassaden.

Straßenzug mit Spuren von Einschlägen in der Nähe des Hafens

Rekruten fahren von Odessa aus zu ihrer Einheit

Veteran Pavlo mit Armverletzung

Unheimliche Begegnung auf der Rückreise

Meine Rückreise verlief ruhig. Ich fuhr wieder per Bus etwa vier Stunden nach Moldawien. Dort war der Flughafen voller Juden, die über der Thora vor- und zurückwippten. Der Anblick fühlte sich befremdlich an. Dann beobachtete ich zwei Männer, die mich heimlich mit einer Spiegelreflexkamera fotografierten. Diese sollte ich später nochmal wiedersehen. Ich flog von Chisinau aus nach Wien und stieg aus dem Flieger. Es ging zur Passkontrolle, ich wurde gebeten zu warten. Alle wurden kontrolliert und durchgelassen, nur ich nicht. Ich fragte, was denn los sei. Links hinter der Passkontrolle, bereits auf österreichischer Seite, standen die zwei Freds und gingen nicht weiter. Es waren genau die zwei Personen, die mich in Moldawien am Airport meinten „heimlich“ fotografieren zu müssen. Mir schwante Böses, aber ich blieb ruhig, äußerlich. Der Typ in dem Grenzkontrollschalter machte das Fenster zu, telefonierte und gab irgendwas am Computer ein. Ich sah in der Spiegelung der Scheibe hinter ihm sehr viel Text, den ich spiegelverkehrt und sehr klein natürlich nicht lesen konnte. Die Klappe ging wieder auf, er wollte wissen, wann mein Weiterflug nach Köln ginge. Um acht. Er sagte, dass würde eng werden. Er wollte wissen, ob ich Alleinreisende sei, was ich im Ausland gewollt habe und ob ich von dort etwas mitgenommen hätte. Ich sagte ihm, dass ich nichts mitgenommen habe, Alleinreisende sei und beruflich dort gewesen bin. Erstaunlicherweise gab er mir meinen Reisepass zurück und wünschte mir einen guten Weiterflug. Die beiden Typen links neben dem Schalter waren verschwunden. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass sie sich entfernt hatten. Unheimlich, wirklich unheimlich. Ich war froh, nicht in Österreich bleiben zu müssen und schwor mir, nie mehr über Wien zu fliegen und die Ostmark nie wieder zu betreten, so schön es da auch sein mag.

Mein Weiterflug nach Colonia wurde im Jamie Oliver-Restaurant im Flughafen mit zwei Gläsern Weißwein und Bruschetta gefeiert. Ich stieg pünktlich in das Flugzeug und erlebte den fiesesten Flug überhaupt. Es wackelte und ruckelte und ich dachte an das Schlimmste. Wobei ich fairerweise sagen muss, dass ich eh nicht gerne fliege. Aber so einen beschissenen Flug hatte ich echt noch nie. Das Wetter war richtig furchtbar, über Köln tobte der Sturm und der Himmel war komplett dunkelgrau. Die BRD hatte mich wieder – aber alles besser als nochmal einen solchen Flug zu erleben.

Es war ein gelungener Besuch und eine tolle Völkerverständigung in der Ukraine. Überall war Asov-Werbung an den Bushaltestellen. Was für uns hier als Nationalismus gilt, ist für die Ukrainer normalster Patriotismus. Das Verhältnis zum Land und zum eigenen Volk ist geprägt von Identifikation, Ehre und starker Liebe zum Eigenen. Davon sind wir in Deutschland weit entfernt. Ich hoffe, die Ukraine kann irgendwann wieder durchatmen und sich souverän selbst verwalten ohne Marionetten wie Selenskyj oder russische Bevormundungen. Slava Ukraini!

Erstveröffentlichung in N.S. Heute #43

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