von Edda Schmidt
Als der russische Dissident Nawalny im Straflager starb, war die öffentliche Meinung in Deutschland voller Trauer, Entsetzen und Wut gegen die Unmenschlichkeit, die zu seinem Tod geführt hatte. Aber wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen… Nur, dass hier so gut wie niemand weiß, dass Gleiches auch hier vorkommt – nur erfährt niemand etwas davon!
Markus Bohrmann war bis zu seinem 16. Lebensjahr im Heim und war dann vor Jahrzehnten zu 9 Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. In der Haft suchte und fand er Kontakte zu Briefpartnern, durch die er zu größerem geschichtlichen Wissen gelangte und lernte, das tägliche politische Geschehen selbst zu beurteilen. Seine Meinung widersprach daher in vielem der offiziell verordneten, was dazu führte, dass er gequält wurde (z.B. ein Päckchen mit Weihnachtsbäckereien, das ihm geschickt wurde, wurde ihm gezeigt, aber nicht gegeben) und nicht einmal auch nur einen Tag begleiteten Urlaub bekam.
Kurz vor dem Ende der verhängten Haftzeit wurde er wegen angeblicher Prostatabeschwerden behandelt. Dann kam er ins Krankenhaus, und es stellte sich heraus, dass es nichts mit der Prostata zu tun hatte, sondern die Blase voller Krebs war und entfernt werden musste. In einer stundenlangen Operation hatte er das Glück, von einem weithin bekannten Spezialisten aus einem Stück Dünndarm eine neue Blase gefertigt zu bekommen. Ärzte und Personal der Klinik kümmerten sich sehr um ihn, es tat ihm gut – aber er war Tag und Nacht bewacht und sogar ans Bett gefesselt. Nach diesem schweren Eingriff wartete er vergebens darauf, in die notwendige Reha zu kommen – es kam nur 2- bis 3-mal wöchentlich ein Physiotherapeut. Trotzdem überstand Markus alles einigermaßen gut.
Nun war die Haftzeit zu Ende und Markus bot sich die Gelegenheit, bei einem Briefpartner unterkommen und eine Arbeit bekommen zu können. Er freute sich darauf, nun seine treuen Briefpartner und auch einiges von Deutschland kennenlernen zu können. Aber er wurde nicht entlassen, weil er „nicht mit einem einzigen Tag Freigang erprobt“ worden war und angeblich weiterhin eine Gefahr von ihm ausgehe… Zuerst verwehrt man dem Gefangenen diese Selbstverständlichkeit und begründet mit der Schikane noch den weiteren Freiheitsentzug! Und er hatte die (für das System) „falschen“ Freunde. Wäre er bereit gewesen, zu ihnen jeglichen Kontakt zu beenden (und wohl – wie ein anderes Beispiel zeigt – ins Aussteigerprogramm zu gehen), wäre er entlassen worden. Aber das kam für ihn überhaupt nicht in Frage, sich von den Kameraden zu distanzieren, die ihn trotz seiner kriminellen Vergangenheit akzeptiert, ihn jahrelang unterstützt und ihm die nötige Kraft zum Durchhalten gegeben hatten. Das besiegelte sein Schicksal.
Markus wurde in die Sicherungsverwahrung gesteckt, obwohl jedem klar war, dass von ihm keinerlei Gefahr ausging. Da er nicht wie geplant nach Thüringen entlassen wurde, ließ er sich nach Freiburg verlegen, da er im Schwarzwald eine neue Möglichkeit für Wohnung und Arbeit bekam. Aber es waren wieder die „falschen“ Freunde!! Und die Anstaltsleitung in Freiburg entpuppte sich als noch gehässiger. Er konnte zwar einen Tag – natürlich begleitet – in die Freiheit, aber der zugesagte nächste Tagesausflug mit demjenigen, zu dem er entlassen werden wollte, wurde zwar genehmigt, aber kurzfristig wieder abgesagt. Und gesundheitlich gab es ein neues Problem. Im Krankenhaus stellte man Krebs in der Lunge und der Nebenniere fest. Nun wurde ihm zunächst ein Lungenflügel entfernt, über das weitere Vorgehen (Chemotherapie) sollte später entschieden werden. Nun wartete Markus sechs Wochen vergeblich darauf, endlich zu der anstehenden Untersuchung zu kommen. Das Fehlen des Lungenflügels erschwerte ihm das Gehen – hatte er doch all die Jahre versucht, sich so gut wie im Gefängnis möglich fit zu halten.
Wieder kam ein Gutachter, der diesmal feststellte, dass er gesundheitlich nicht mehr in der Lage war, eine Tat in welcher Form auch immer zu begehen. Endlich wieder im Krankenhaus – rund um die Uhr von Polizei bewacht – ging es ihm immer schlechter. Nun stellte sogar der gerichtlich bestellte Gutachter fest, dass er so krank ist, dass von einer Gefahr nicht mehr ausgegangen werden kann, was aber die Anstaltsleitung, die Staatsanwaltschaft und das Gericht, welches über die Sicherungsverwahrung entscheiden sollten, nicht interessierte. Er war ein Pflegefall und hatte die Möglichkeit, über eine offizielle Pflegeeinrichtung in einem privaten Pflegezimmer aufgenommen zu werden. Er wurde noch in ein Hospiz verlegt, wo er nach kurzer Zeit verstarb. Nun wird er wohl eingeäschert und anonym irgendwo in einer Friedhofswiese begraben – und niemand kann von ihm Abschied nehmen oder später an einem Grab seiner gedenken…
Wir aber werden ihn, sein Schicksal – und auch, wer daran schuld ist – nie vergessen.
Auch wenn wir uns nicht von Dir verabschieden konnten – wir verneigen uns vor Dir und Deiner Stärke, Deiner Einstellung treu zu bleiben bis in den Tod. Markus, ein letztes Heil Dir!
Das ist wirklich ein hartes Leben und Schicksal, was dem Kamerad Markus widerfuhr.
Wir sehen uns in Walhalla.
Wahre Worte. Ich selbst durfte Markus in den letzten 2 Jahren kennenlernen. Er war einer der wenigen Aufrechten. Die vielen Gespräche mit ihm werde ich nie vergessen. Für seinen letzten Weg wünsche ich ihm alles gute und er bleibt stets in unseren Herzen unvergessen.
Markus Bohrmann hier, wir sehen uns in Walhalla