„Des Menschen Wohnung ist sein halbes Leben“ – Zu Besuch in Goethes Wohnhaus

Goethes Arbeitszimmer in Weimar

Ein milder Spätsommertag Anfang September, Einwohner und Touristen genießen auf den Terrassen der Restaurants und Cafés der Weimarer Altstadt ihre Mittagspause. Auf dem Frauenplan, wo in früheren Zeiten der Zwiebelmarkt abgehalten wurde, werden touristische Kutschfahrten durch die altehrwürdige Stadt angeboten, die sich vor rund 200 Jahren rühmen durfte, das unbestrittene kulturelle Zentrum Deutschlands zu sein. Gaststätten und Ladengeschäfte mit Namen wie „Zum Goethebrunnen“ und „Goethes Schokolädchen“ weisen darauf hin, dass an diesem Ort alles ganz im Zeichen des deutschen Altmeisters steht.

Am Rande des Frauenplans, in der Einmündung zur Seifengasse, erkennen wir unschwer das repräsentative Bürgerhaus, das für Johann Wolfgang von Goethe fast 50 Jahre lang Wohnhaus und Wirkungsstätte war. Das heutige Museum kommt ohne pompöse Außenwerbung aus, der Eingang ist beinahe etwas versteckt hinter einem Tor gelegen. Der normale Eintrittspreis beträgt happige 12,50 Euro, ermäßigt 7,50 Euro. Glücklich schätzen kann sich also derjenige, der im Besitz eines Presseausweises ist und kostenlos reinkommt. Frage, ob man lieber was zu lesen oder was zu hören haben will. Ich entscheide mich für die Audioführung, die ist praktischer als das Heft, weil man sich die Exponate bequem während des Betrachtens erklären lassen kann und nicht ständig im Heft herumblättern muss. Durch eine Tür gelangt man in den Vorhof, wo linker Hand in einem dunklen, miefigen Raum der Film „Goethe als Gestalter seines Wohnhauses“ in Dauerschleife läuft. Kann man sich geben, muss man aber nicht.

Goethe im 80. Lebensjahr, Ölgemälde von Joseph Karl Stieler, 1828

Goethe in Weimar

Bevor wir uns dem Rundgang durch Goethes Wohnhaus widmen, rufen wir uns in aller Kürze ins Gedächtnis, welchen herausragenden Stellenwert die Stadt Weimar für das Schaffen des Dichtergenies hatte. Am 28. August 1749 in Frankfurt am Main in eine bürgerliche Familie hineingeboren und in seiner Kindheit durch Hauslehrer umfassend unterrichtet, absolvierte der junge Goethe auf Wunsch seines Vaters ein lustloses Studium der Rechte in Leipzig und Straßburg. In Frankfurt betrieb er eine kleine Anwaltskanzlei, widmete sich aber damals schon lieber seinem literarischen Schaffen. 1771 gelang mit der Dichtung des „Götz von Berlichingen“ der Durchbruch, womit er ganz nebenbei die literarische Gattung des „Sturm und Drang“ begründete. Mit seinem 1774 erschienenen Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ gelangte er zu Weltruhm, in diese Zeit fällt auch die erste Bearbeitung des „Faust“-Stoffes. Am 7. November 1775 nahm er eine Einladung des 18-jährigen Herzogs Carl August nach Weimar an, wo er im Jahr darauf zum Geheimen Legationsrat ernannt und Mitglied des dreiköpfigen Beratergremiums des jungen Herzogs von Sachsen-Weimar-Eisenach wurde.

Nach verschiedenen Beamtentätigkeiten und der Erhebung in den Adelsstand mauserte sich Goethe zum faktischen Kabinettschef (heute würde man sagen „Ministerpräsident“). Er wurde nach dem Herzog der zweitwichtigste Mann in Weimar, was allerdings auf Kosten seines literarischen Schaffens ging, für das er in seinem ersten Weimarer Jahrzehnt kaum Zeit fand. Vor den Zwängen des institutionellen und höfischen Lebens floh er 1786 für eine zweijährige Bildungsreise nach Italien, wo er die Bau- und Kunstwerke der Antike kennenlernte und die Prosafassung der „Iphigenie auf Tauris“ in ein Versdrama umschrieb. In Bezug auf seinen literarischen Schaffensdrang sprach Goethe davon, seine „Italienische Reise“ sei eine „Wiedergeburt“ gewesen. Im Sommer 1788 nach Weimar zurückgekehrt, übernahm er als „Minister ohne Portefeuille“ überwiegend repräsentative Aufgaben, sodass ihm mehr Zeit verblieb für seine künstlerischen Arbeiten und naturwissenschaftlichen Forschungen, beispielsweise zur Metamorphose der Pflanzen und zur Farbenlehre. Kurz nach seiner Wiederkehr aus Italien machte er Bekanntschaft mit Christiane Vulpius, eine Frau aus einfachen Verhältnissen, die seine Geliebte und schließlich seine Lebensgefährtin wurde. Aus der Beziehung gingen fünf Kinder hervor, wovon allerdings nur sein Sohn August das Erwachsenenalter erreichte.

1791 übernahm Goethe die Leitung des neugegründeten Weimarer Hoftheaters, im Jahr darauf begleitete er Carl August in den ersten Koalitionskrieg gegen das revolutionäre Frankreich. Als Dank kaufte der Herzog das Wohnhaus, in dem Goethe bislang nur zur Miete gewohnt hatte, und schenkte es seinem älteren Freund zur freien Verfügung. In den frühen 1790er-Jahren begann schließlich die prägende Epoche der „Weimarer Klassik“, in der die Stadt durch das Wirken von Goethe, Schiller, Herder und Wieland allmählich zum geistigen Zentrum Deutschlands wurde. Die Zeit der Weimarer Klassik im engeren Sinne endete im Jahr 1805 mit dem frühen Tod Schillers. 1809 veröffentlichte Goethe seinen letzten Roman „Die Wahlverwandtschaften“, eine Verknüpfung von Poesie und Naturforschung. Als Bewunderer Napoleons hielt Goethe Distanz zur patriotischen Erhebung gegen Frankreich, vertiefte sich stattdessen in das Studium des Arabischen und des Persischen, las den Koran und arbeitete an seiner Gedichtsammlung „West-östlicher Divan“. Im Jahr 1816 starb Christiane, die Goethe 1806 zu seiner Ehefrau gemacht hatte, im Jahr darauf legte er die Leitung des Hoftheaters nieder. Einen weiteren Schicksalsschlag erlitt der betagte Dichterfürst, als 1828 Herzog Carl August starb, zwei Jahre später erlag sein Sohn August auf einer Italienreise einer Pockenkrankheit. Im Jahr 1830 vollendete der 81-jährige Goethe nach 60-jähriger Arbeit (!) die Faust-Tragödie. Am 22. März 1832 starb Johann Wolfgang von Goethe in seinem Wohnhaus, vermutlich an einem Herzinfarkt. Er wurde in der Weimarer Fürstengruft beigesetzt. 

Die Kunst der Antike lernte Goethe auf seiner ersten Italienreise schätzen

Rundgang durch die Privat- und Arbeitsräume

Die eigentliche Führung beginnt mit einer Darstellung der Geschichte des Hauses auf mehreren Schautafeln. 1709 als barockes Wohnhaus eines wohlhabenden Kaufmanns erbaut, mietete Goethe 1782 einige Zimmer im westlichen Teil des Hauses. Zehn Jahre später erwarb sein Freund und Dienstherr Carl August das zum Verkauf stehende Haus und machte es Goethe zum Geschenk. Bis zu seinem Tod im Jahre 1832 erfuhr das Haus zahlreiche Umgestaltungen nach den Kunstidealen und vielseitigen Interessen seines Eigentümers. „Des Menschen Wohnung ist sein halbes Leben“, so schrieb Goethe in einem Brief an den Maler Johann Heinrich Meyer im Dezember 1795. Nach dem Tod seines letzten Enkels Walther von Goethe im April 1885 wurde mit der Errichtung eines Goethe-Nationalmuseums als öffentliche Institution begonnen, das im Jahr darauf feierlich eröffnet wurde. Seitdem gewährt das Haus der interessierten Öffentlichkeit Einblicke in das Privat-, Arbeits- und Gesellschaftsleben des Weimarer Dichterfürsten.

Über knarzende Treppenstufen, vorbei an zum Teil verstaubten Skulpturen (wir erleben während unseres Rundgangs leider öfter, dass das Wohnhaus nicht gut gepflegt wird), steigen wir hinauf in den Empfangssaal, in dem auch Mahlzeiten eingenommen wurden. Bescheidenheit war nicht gerade ein Merkmal Goethes, wie man anhand zahlreicher, wuchtiger Skulpturen feststellen kann, die erkennbar den Geist der Antike atmen, wie ihn der damalige Hausherr während seiner Italienreise kennengelernt hat. Die Gipsabgüsse waren für Goethe „Wege zur Welterkenntnis“, wie uns die Frauenstimme der Audioführung verrät.

Bei der Führung durch die 18 zugänglichen Räume, die Goethe mit seiner Familie bewohnte, können zahlreiche originale Haushaltsgegenstände, Erinnerungs- und Sammlungsstücke des Altmeisters besichtigt werden. Der Rundgang führt durch die Privaträume, die Zimmer für die Lagerung seiner Sammlungen (unter anderem Kunstgegenstände und naturwissenschaftliche Forschungsobjekte) und Gesellschaftsräume bis hin zur Herzkammer des Hauses, Goethes privaten Arbeitsraum inklusive seiner Bibliothek. Die 7.500 Bände umfassende Privatbibliothek befindet sich zwecks Katalogisierung derzeit allerdings nicht an seinem angestammten Ort. Neben dem Arbeitszimmer liegt der private Schlafraum Goethes, wo auch heute noch der Sessel steht, indem der Großmeister der deutschen Dichtkunst am 22 März 1832 für immer eingeschlafen ist.

Durch einen Flur gelangen wir in den vergleichsweise bescheidenen Hausgarten, der sich in diesen letzten Sommertagen noch in seiner vollen, bunten Pracht präsentiert. Zwei pubertierende Mädels haben sich in einer Ecke des Gartens auf eine Bank verkrümelt, wo sie unablässig auf die Bildschirme ihrer Smartphones starren. Ob sie jemals freiwillig ein Buch von Goethe in die Hand nehmen werden?

Goethes Sterbesessel neben seinem Arbeitszimmer

Weimar ist immer eine Reise wert!

Nach dem Rundgang durch das Wohnhaus, wofür man etwa eine Stunde Zeit einplanen sollte, gelangt man durch die Eingangshalle zur Dauerausstellung „Lebensfluten – Tatensturm“ in den oberen Etagen (der Eintrittspreis gilt für beide Ausstellungen). Hier bekommt man nicht nur zahlreiche persönliche Gegenstände Goethes zu sehen, wie Kleidungsstücke und Bücher, sondern die Ausstellung verdeutlicht auch die Vielschichtigkeit seines literarischen und wissenschaftlichen Wirkens. Es sind teilweise sehr unterschiedliche Interessensgebiete, die jedoch im Goethe’schen Denken einen Organismus bildeten, beispielsweise Kunst, Mythologie, Liebe, Osteologie, Botanik, Farbenlehre und Architektur. Wer sich die umfangreiche Ausstellung gewissenhaft anschauen möchte, muss hierfür locker zwei Stunden Zeit einplanen, alternativ kann man auch an einer Führung teilnehmen.

Immer wieder fällt im Zusammenhang mit Goethe der Begriff des „Universalgenies“, da er sich für zahlreiche Themengebiete nicht nur interessierte, sondern diese vollständig durchdrang und in den unterschiedlichsten Wissenschaften zu den Pionieren und absoluten Experten zählte. Dies war freilich nur möglich, da Goethe sich dem Grundsatz des lebenslangen Lernens verschrieben hatte und bis zu seinem Tod nie aufhörte, sich neue Wissensgebiete zu erschließen und bestehende zu intensivieren – ein Grundsatz, den wir uns alle zu eigen machen sollten.

Sollte es den kulturaffinen Nazi einmal nach Weimar verschlagen, empfiehlt es sich, mindestens ein Wochenende für den Besuch einzuplanen, denn neben dem Goethe-Nationalmuseum gibt es noch zahlreiche andere Museen und Sehenswürdigkeiten zu bestaunen, beispielsweise das Goethe- und Schiller-Archiv, Schillers Wohnhaus, das Schiller-Museum, die Fürstengruft, die Anna Amalia Bibliothek und das Schloss Belvedere. Erholung findet man bei einem Spaziergang im Park an der Ilm, für Geschichtsinteressierte empfiehlt sich der Besuch im Museum für Ur- und Frühgeschichte sowie das Haus der Weimarer Republik, wo man sich über die Geschichte der parlamentaristischen Schandrepublik informieren kann, die leider für alle Zeiten den guten Namen der deutschen Kulturstadt beschmutzen wird. Den krönenden Abschluss der Weimar-Reise könnte ein Besuch im Deutschen Nationaltheater darstellen. Direkt vor dem Nationaltheater befindet sich übrigens das berühmte bronzene Goethe-Schiller-Denkmal, von dem die beiden Literaturgiganten seit über 150 Jahren auf ihre Stadt herabblicken. Ob sie es auch in 150 Jahren noch tun werden, oder ob das „gottlose“ Theater bis dahin einer Moschee gewichen sein wird, liegt ganz in unserer Hand.

Erstveröffentlichung in N.S. Heute #18

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