Besprechungen #72: Aus der Reihe „Literaturpreisträger der Reichshauptstadt Berlin“: Kurt Kluge – Die Zaubergeige (1941)

Bevor der Bildhauer und Schriftsteller Kurt Kluge im Sommer 1940 mit nur 54 Jahren aus dem Leben schied, erschien sein gut 200 Seiten umfassender Roman „Die Zaubergeige“. Posthum erhielt er dafür 1941 den Literaturpreis der Reichshauptstadt Berlin sowie den „Volkspreis für deutsche Dichtung / Wilhelm-Raabe-Preis“. Die Verfilmung des heiteren Romans feierte 1944 ihre Prämie, doch dazu später mehr.

In dem kleinen fiktiven Städtchen namens Kranichstedt spielt der arme, verkannte Geiger Andreas im städtischen Musikquartett lediglich die zweite Geige. Aus finanzieller Not heraus gibt er außerhalb der Proben der Tochter des örtlichen Friseurs, Agnes, Musikunterricht. Über Nacht fährt er allerdings oftmals nach Leipzig, um dort in einem Museum eine Stradivari zu bestaunen und in Gedanken auf ihr zu spielen, während er abends für eine warme Mahlzeit in einer Gaststätte auftritt.

Der Friseur sieht in dem jungen Geiger einen ungepflegten Taugenichts, der zu allem Übel auch noch seiner Tochter näherkommt. Andreas‘ nächtliche Ausfahrten nach Leipzig schüren in dem Friseur Misstrauen, sodass dieser in dem Städtchen Gerüchte über den Geiger in Umlauf bringt. So entstehen, vom Sinn der Kunst getrieben, immer mehr Konflikte für Andreas, in die zahlreiche Personen, etwa Handwerker, Wirtsleute und Musiker unversehens involviert werden. Nachdem er in dem Museum die Stradivari entwendet hat, wird sein außerordentliches Talent bekannt, doch durch Verständnis und Wohlwollen seiner Mitmenschen entkommt er der eigentlichen Strafe und kämpft nun weiter um Agnes, seine große Liebe.

Zwar lässt sich der grobe Stoff für die Handlung schon zuvor in der Literaturgeschichte finden, allerdings fügt Kluge zwei weitere Elemente hinzu: Humor und Handwerk. Die wiederkehrenden absurden und humoristischen Passagen, wenn Andreas seine patzigen und frechen Antworten gibt oder zum Beispiel seine Geige auf dem Kopf seines Vorgesetzten, Archivrat Mittenzwey, zerschlagen lässt, sind recht erheiternd. Neben hin und wieder philosophisch-tiefgründigen Zweizeilern glänzt Kluge auch mit handwerklichem Wissen in Form der Meisterfiguren. Das ist angesichts seines eigentlichen Berufes auch nicht verwunderlich, war er selbst doch etwa mit der Restauration der Quadriga auf dem Brandenburger Tor oder des Reiterstandbildes Friedrichs des Großen in Berlin betraut.

Die anfangs erwähnte Verfilmung orientiert sich nur grob an der Romanvorlage und weicht sowohl von den Handlungsorten, den Figuren als auch vom Handlungsablauf, der in der Verfilmung verkürzt wird, von dem Roman ab; ebenso dürftig tritt in dem Film der Humor zum Vorschein. Die Verfilmung ist allerdings hochkarätig besetzt, so wird der Andreas von Will Quadflieg verkörpert, der beispielsweise durch die „Faust“-Verfilmung von 1960 und zahlreiche Hörspiele bekannt ist. Während der Diebstahl der Stradivari im Roman als innerer Drang dargestellt wird, ist dieser im Film eine Notwendigkeit aufgrund Andreas‘ finanzieller Verhältnisse.

Um einen ersten Eindruck zu bekommen, kann man sich den Film durchaus ansehen, das innere Auge verspricht beim Lesen dennoch eine deutlich intensivere Wirkung, auch wenn sich die Handlung hier und da etwas zieht.

Kurt Kluge – Die Zaubergeige. Die fantasiereiche Geschichte eines armen Geigers. Erstveröffentlichung 1940 im Verlag J. Engelhorn Nachf. Adolf Spemann, Stuttgart. 222 Seiten, antiquarisch für wenige Euro erhältlich.

Erstveröffentlichung in N.S. Heute #43

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