Bevor er beschloss, Politiker zu werden
In dem hier zu besprechenden Buch wird ein weithin unbekanntes Kapitel aus dem Leben des späteren Reichskanzlers beleuchtet: Adolf Hitler als Soldat im Ersten Weltkrieg. Am Vorabend des ersten großen Völkerringens verweilt der junge Kunstmaler in München, wo er den Krieg regelrecht herbeisehnt und schließlich als Freiwilliger im 6. Rekruten-Ersatzbataillon des 2. Bayerischen Reserve-Infanterie-Regiments „List“ aufgenommen wird. In Frankreich und in Flandern dient er als Meldegänger (Gefechtsordonnanz) zwischen dem Regimentsstab und den vorgeschobenen Stellungen.
Die vorliegenden Erinnerungen wurden von Hitlers Kriegskameraden Hans Mend aufgeschrieben, der als Meldereiter im List-Regiment eingesetzt war und dort den Spitznamen „Schimmelreiter“ erhielt. Die Originalausgabe von 1931 wurde 2016 als wissenschaftlicher Quellentext vom Bremer Verlag „Am Wall“ in lateinischer Schrift neu herausgegeben. Der Verfasser streut in seine persönlichen Erinnerungen immer wieder anekdotenhaft ein, welche Erlebnisse er zusammen mit Adolf Hitler hatte und welchen Eindruck er von seinen soldatischen Leistungen und seinem Charakter gewann. Außerdem zeigt das Buch einige Fotos des Kriegseinsatzes sowie im Anhang Bilder und Zeichnungen des Frontsoldaten Hitler.
Nach einhelliger Meinung seiner Kriegskameraden war Adolf Hitler einer der besten und zuverlässigsten Gefechtsordonnanzen des List-Regiments. Auch in den gefährlichsten Situationen wirkt er ruhig, kaltblütig und todesverachtend, die Strapazen merkt man ihm zumeist erst hinterher an, wenn die Soldaten wieder in ihre Unterkünfte eingerückt sind. Oft hat er Glück und entrinnt nur durch Zufall dem Tod, in den Laufgräben muss er oft an unzähligen toten und verwundeten Kameraden vorbei. Andere Meldegänger, die mit ihm zusammen eingesetzt werden, sagen oft „Heute ist Hitler dabei, da passiert nichts“. Doch woher kam diese Todesverachtung des Mitte 20-Jährigen? Hitler war bereits Vollwaise, schlug sich vor dem Krieg in München mit dem Verkauf von Aquarellbildern durch, sein Zukunftshorizont erschien völlig offen. Mit dem Kriegseinsatz sah er für sich erstmals eine höhere Aufgabe gekommen, der er sich voll und ganz verschreiben konnte, auch wenn er gerade kein Verfechter der reaktionären europäischen Monarchien war, die er mit seinem Einsatz verteidigte.
Mend beschreibt den Frontsoldaten Hitler als Einzelgänger, der von manchen als Sonderling empfunden wird und niemals Geschenke seiner Kameraden annimmt. Nie beantragt er Fronturlaub, die Stellungen und Gräben der Westfront sind seine Welt. Dennoch erlebt er echte Kameradschaft: Der Autor berichtet zum Beispiel, wie Hitler in den Unterkünften mit Einfällen und geistreichen Zwischenrufen Leben in die Bude bringt. In seiner freien Zeit beschäftigt er sich mit Literatur und Malerei, außerdem führt er ab etwa 1915/16 immer öfter politische Streitgespräche, vorwiegend mit sozialdemokratisch und kommunistisch eingestellten Kameraden seines Regiments.
Im Frühjahr 1916 wird Hans Mend in einem anderen Regiment eingesetzt und im Sommer als Dolmetscher nach Bayern abkommandiert, wodurch sich die gemeinsame Spur mit Hitler verliert. Während der Somme-Schlacht im Oktober 1916 wird Hitler durch einen Granatsplitter erstmals ernsthaft verwundet, im März 1917 kommt er zurück an die Front. Im August 1918 erhält er das Eiserne Kreuz I. Klasse, das nur sehr selten an Gefreite verliehen wurde, wegen seines besonders kaltblütigen Verhaltens im Kampf um den Brückenkopf von Montdidier. Durch einen Senfgasangriff bei der Ypern-Schlacht im Oktober 1918 erblindet Hitler vorübergehend. Das Kriegsende erlebt er im Reservelazarett Pasewalk.
Hitler bezeichnete seine Zeit als Frontsoldat später immer wieder als die „unvergesslichste und größte Zeit“ seines Lebens. Nach dem 9. November 1918 kehren viele seiner Kameraden verbittert und resigniert in die Heimat zurück, manche werden sich bald nationalistischen Freikorps-Einheiten anschließen. Hitler aber beschloss, Politiker zu werden.
Erstveröffentlichung in N.S. Heute #43