Besprechungen #29 – Aus der Reihe „Literaturpreisträger der Reichshauptstadt Berlin“: Herbert von Hoerner – Der graue Reiter

„Ansis wird den Hof erben“, dachte der Bauer weiter (…) „So etwas vergisst sich nicht in Generationen. Das wird das Denkmal sein, das ich mir setze, unzerstörbar, soweit etwas auf Erden unzerstörbar ist, und mein Name wird unvergessen sein, solange die Wezrumbas auf dem Hofe leben werden, und das werden sie voraussichtlich bis zum Jüngsten Tage!“

Im Jahr 1940 gewann unter anderem der deutschbaltische Schriftsteller Herbert von Hoerner den oben genannten Preis für seinen Bauernroman „Der graue Reiter“. Der Roman erzählt über die Zeitspanne von etwa einem Jahr das Schicksal des 42-jährigen Bauern Karlis Wezrumba und dessen Familie, wobei weder der genaue Ort des Geschehens noch das Jahr der Handlung erwähnt werden, die Zeit lässt sich nur grob auf die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eingrenzen.

Durch ein starkes Unwetter wird der Stall des Hofes so stark zerstört, dass der Bauer nach einigem Überlegen beschließt, diesen zusammen mit seinem ältesten Sohn Ansis komplett neu zu bauen. Steinernes Baumaterial scheint über den nahegelegenen Fluss schnell erreichbar und obendrein kostenlos in einer alten Ruine zu finden zu sein. Nach einer ersten Begutachtung trifft Bauer Karlis auf einen Gendarmen, der sich als sein alter Jugendfreund Jurre Mengalv entpuppt. Dieser klärt den Bauern darüber auf, dass es sich bei den Steinen um Staats- und Kulturgut handele. Um die Steine nutzen zu dürfen, müsse zunächst ein Antrag gestellt werden, wozu der Gendarm sogleich seine Hilfe anbietet. Während die Ämter noch keine Entscheidung über den Antrag des Bauern getroffen haben, beginnt er jedoch im Winter zusammen mit seinem Sohn, die Steine aus der Ruine mit einem Schlitten über den zugefrorenen Fluss auf seinen Hof zu bringen. Eine folgenschwere Entscheidung, wie sich wenig später herausstellen sollte…

Die gesamte Erzählung hindurch taucht immer wieder ein geheimnisvoller grauer Reiter als warnende und somit auch beschützende Erscheinung auf, an welchen der Bauer anfangs nicht glaubt und ihn zum Ende des Romans hin schlichtweg ignoriert. Wo der graue Reiter auftaucht, soll man von seinem Vorhaben ablassen, so berichtet es die Großmutter der Familie. Der genannte Reiter erinnert stark an Theodor Storms „Schimmelreiter“ und an die alte Sage, auf die Storms weltbekannte Novelle basiert. So finden sich auch in Hoerners Roman die literarischen Motive von alt / jung beziehungsweise alt / neu, Licht / Schatten sowie Mensch / Natur.

Neben dem Hauptstrang tun sich noch zahlreiche Nebenhandlungen innerhalb der Erzählung auf, dabei werden die Kinder sowie die Nachbarn der Wezrumbas samt ihren Charaktereigenschaften vor- und dargestellt. So hofft beispielsweise der Nachbarsjunge Jaunsem auf die Liebe der ältesten Tochter der Wezrumbas, Milda. Auch auf diese Beziehung wird der wesentlich ältere Gendarm einen verhängnisvollen Einfluss nehmen, was der Erzählung einen weiteren, emotionalen Handlungsstrang bietet.

Insgesamt handelt es sich um einen lohnenswerten und flüssig zu lesenden Roman, welcher anfangs zwar etwas dahinplätschert, sich aber doch allmählich zu einer packenden Erzählung entwickelt, wobei das Ende schließlich einige Fragen offenlässt, die der Leser gerne noch erfahren hätte. Den Verfasser Herbert von Hoerner können wir leider nicht mehr fragen, als ehemaliger Wehrmachtsoldat wurde er nach dem Krieg von den Sowjets verhaftet, vor ein sowjetisches Militärtribunal gestellt, wegen „konterrevolutionären Verbrechen“ zum Tode durch Erschießen verurteilt und im September 1946 in Bautzen von bolschewistischen Schlächtern hingerichtet.

Erstveröffentlichung in N.S. Heute #19

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