Die Kameradschaft der Getreuen
Jede Zeit hat ihren Roman, sei es der „Simplicissimus“ für den Dreißigjährigen Krieg oder der Bildungsroman des 18. und 19. Jahrhunderts, sei es der bürgerliche, der groß angelegte historische Roman oder das sich dem Volk und seinem Schicksal zuwendende Werk. Die beiden unserem Volk aufgezwungenen Kriege des 20. Jahrhunderts ließen keinen deutschen Künstler unberührt; ihr persönliches Erleben bahnte sich gerade in den Weltkriegs- und Freikorpsromanen und Schilderungen der Kriegs- und Besatzungszeit seinen schriftstellerischen Ausdruck.
Doch was ist die Herausforderung dieser Zeit? Der Autor von „Fackeln in deutscher Nacht“ gibt uns auf diese Frage eine klare Antwort: Nationalist zu sein ist Auftrag der Ahnen, Sinnerfüllung des eigenen Lebens wie Sicherung des Überlebens des Volkes. Um diese Themen kreist der metapolitische Inhalt des Werkes, der das Ringen des Protagonisten mit sich selbst und einer als feindlich wahrgenommenen Umgebung beschreibt.
Als Katalysator des Geschehens, als soziale Triebkraft und überpersönlicher Träger der Handlung schält sich dabei die Kameradschaft der Getreuen heraus. Sie ist der unerschütterliche Fels in der Brandung volksfeindlicher Kräfte, ihre Eigengesetzlichkeit fordert die Fremdherrschaft heraus, ihre Ehre ist der Kontrapunkt zum Status Quo des Jahrzehnte andauernden institutionellen Verrats. So wird die Gemeinschaft zum Kristallisationskern des totalen Widerstandes gegen ein ethisch verworfenes und moralisch verkommenes System. Damit erfüllt sie die Forderung von Platons Staatstheorie, dass nämlich nur eine – wenn auch noch so kleine – im Kern gesunde Gemeinschaft ein zerrüttetes Gemeinwesen wiederherzustellen vermag.
Aus eigener denkerischer Vertiefung schöpfend und als Ergebnis innerer wie äußerer Auseinandersetzung gelingt dem Autor eine Darstellung der wesentlichen Fragen der Gegenwart, der Lebensfragen der Nation und der Sinnfragen der Getreuen. Als Mittel hierzu dienen die mannigfach eingeflochtenen Gespräche, die nie aufgezwungen oder aufgesetzt wirken, sondern sich natürlich in das Geschehen einfügen. Durch die behutsame Verwendung der Wiener Mundart kommt ihr innerer Gehalt zu einer besonders wahrhaften Wirkung, vermittelt zugleich das psychologische Unterfutter und den philosophischen Überbau.
Der Erzähler wechselt gekonnt zwischen aufregenden und ruhigen Momenten, stellt die Personen vor, leuchtet sie aus, fügt Anekdoten ein, erklärt die Geschichte des „nationalen Lagers“ in Deutschösterreich seit 1945. Dessen Besonderheiten werden von einem weiteren Handlungsträger illustriert, der dem traditionellen großdeutschen, völkischen, korporativen Milieu entstammt. Er begleitet den Protagonisten Stefan Gruber als Vorbild und Vaterfigur, die die Traditionslinie des politischen Deutschtums in Österreich fortführt. Der historische Boden dafür ist in erster Linie Wien, das als 500-jährige Residenz- und Reichshauptstadt Feste des Deutschen Reiches und Bollwerk des Deutschtums war. Seine Gässchen und Winkel, seine Korporationshäuser, Keller und Kneipen, seine Parkanlagen und Paläste, seine Straßenschluchten und sein „Graues Haus“ bilden den architektonischen Rahmen. Vor diesem Hintergrund gelingt es dem Erzähler, die Spannung bis zur letzten Seite aufrecht zu halten. Jedem Kapitel ist ein Auszug einer aus vorliegenden Akten zusammengestellten Anklageschrift vorangestellt. Diese Besonderheit markiert die Eck- und Wendepunkte des Romans und vermittelt dem Leser die heimtückische Herangehensweise der politischen Justiz in Österreich.
Welchem Genre gehört nun dieses Werk an? Ist es ein bloßer „Aktivistenroman“, ein Abenteuerroman mit Liebesgeschichte, ein psychologischer Roman, ein Entwicklungs- oder gar ein Bildungsroman? Von allem etwas ist dieses Buch, und dennoch kein Zwitter, sondern ein Werk aus Fleisch und Blut. Auf eine Fortsetzung dürfen wir gespannt sein.
Prof. Guido Raimund
Erstveröffentlichung in N.S. Heute #33
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