Echte Kriminalfälle: „Verdunkelung!“ – Der Berliner S-Bahn-Mörder

Seit dem Kriegsausbruch 1939 und der damit verbundenen Verdunkelung aus Gründen des Luftschutzes wurde eine bestimmte Gegend in der Reichshauptstadt Berlin von einem unheimlichen Serientäter heimgesucht. Tätig war er auf der S-Bahnstrecke von Friedrichshagen, Hirschgarten, Köpenick bis zur Endstation Erkner. Dazwischen lagen unter anderem die Stationen Karlshorst sowie der Betriebsbahnhof Rummelsburg. Seine Serie von Morden, Vergewaltigungen und Sittlichkeitsdelikten würde bis zu seiner Verhaftung im Juli 1941 anhalten. – Die S-Bahnlinie samt Haltestellen existiert heute noch.

Auf das Konto des S-Bahn-Mörders gingen zuletzt acht Morde, sechs Mordversuche sowie über 30 Sittlichkeitsdelikte wie zum Beispiel Exhibitionismus. Der Täter erschlug nachts in der verdunkelten S-Bahn Frauen mit einem Bleikabel und warf sie anschließend aus dem fahrenden Zug. Das Öffnen der Tür von innen während der Fahrt war bei den damaligen S-Bahnzügen noch möglich. Nicht immer vergewaltigte er auch seine Opfer, oft erschlug er sie einfach. Neben seiner Serie an Morden und Mordversuchen auf der Strecke des Berliner Ostkreuzes verlegte er seine Tätigkeit auf eine nördlich neben der Bahnstrecke befindliche Laubenkolonie. Vier Frauen wurden von dem rätselhaften Phantom ermordet, vier weitere überlebten schwerverletzt.

Historisches Plakat aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges; mit der Verdunkelung sollten feindliche Luftangriffe erschwert werden

Fahndung nach dem Unheimlichen

In der Presse tauchten zwischenzeitlich kleine Artikel auf, in denen darüber berichtet wurde, dass Frauen aus fahrenden S-Bahnzügen geworfen wurden. Eine Öffentlichkeitsfahndung wurde der Kripo von höchster Stelle aus politischen Gründen untersagt. Andererseits machte die Gestapo der Berliner Kripo immer mehr Druck, den Täter zu finden. Neben der Kripo und dem Fahndungsdienst der Reichsbahn beteiligten sich auch Parteiformationen wie SA und Nationalsozialistischer Volkswohlfahrt (NSV) an der Jagd nach dem S-Bahn-Mörder. Die Frauen fühlten sich in Anwesenheit von Uniformierten sicher. Was zu der Zeit jedoch noch niemand ahnte: Auch der S-Bahn-Mörder selbst beteiligte sich am nächtlichen Begleitdienst für die Frauen. Immer wenn eine Großaktion gegen den Unheimlichen anlief, kam es seinerseits zu keinerlei Aktivitäten. Bei der Kripo war man bald der Meinung, dass der rätselhafte Mörder und Vergewaltiger höchstwahrscheinlich über die angeordneten Maßnahmen im Bilde war. War er vielleicht ein Reichsbahner?

Als Lockvögel wurden auch Kriminalbeamtinnen eingesetzt, die von ihren bewaffneten männlichen Kollegen abgeschirmt wurden. Der Unhold biss jedoch nicht an. Dann kam man sogar auf die verzweifelte Idee, jüngere Polizeibeamte als Frauen zu verkleiden, um so den Triebtäter anzulocken, doch auch diese ungewöhnliche Maßnahme schlug fehl. In der Zwischenzeit wurde die Öffentlichkeitsfahndung endlich erlaubt. Zudem fand man eine Tatwaffe, ein Bleikabel. Solche Bleikabel wurden für das Verlegen von Telefonleitungen verwendet. Eingelagert waren sie unter anderem am Betriebsbahnhof Rummelsburg der Reichsbahn. Ein Reichsbahner hätte eventuell Zugang…

Eine der überlebenden Frauen machte die Aussage, dass sie von einem Mann in Uniform überfallen worden war. Daraufhin wurden ihr einige Uniformen vorgeführt. Sie identifizierte dabei die Uniform eines Reichsbahners. Nun wurden einige Reichsbahner, die am Betriebsbahnhof Rummelsburg ihren Dienst versahen, noch einmal überprüft. Von einem Reichsbahner bekamen die Beamten den Hinweis, dass der Hilfsweichenwärter Paul Ogorzow nachts von außen über den Zaun des Betriebsbahnhofs geklettert war, sich also zwischenzeitlich von seinem Dienst entfernt haben musste. Der Name Ogorzow war den Beamten bereits bekannt. Er wurde schon einmal routinemäßig überprüft, kam aber nicht als Verdächtiger in Betracht. Ogorzow war verheiratet, hatte zwei Kinder und war zudem seit 1932 Parteigenosse der NSDAP und seit 1933 SA-Mann. Im Juli 1941 bekleidete er den Rang eines SA-Scharführers.

Dann wurde Ogorzow jedoch am 17. Juli 1941 verhaftet. Man fand Blutspuren an seiner Kleidung, und er wurde nun in langen Verhören von den routinierten Kripobeamten bearbeitet. Einige Frauen, die er überfallen hatte, erkannten sein Aussehen wieder, andere erkannten ihn anhand seiner Stimme. Am Anfang blieb er stur, bis er nach und nach einige Taten zugab. Total weich bekam ihn der federführende Kriminalbeamte Lüdtke, als er Ogorzow einige Schädel der von ihm erschlagenen Frauen zeigte. Ogorzow brach zusammen. Er wollte seine Taten damit entschuldigen, dass er durch eine falsch behandelte Geschlechtskrankheit, durch einen jüdischen Arzt, einen Hass auf Frauen bekommen hatte. Er bat um die Überweisung in eine Nervenheilanstalt.

Doch dies hat ihm alles nichts genutzt. Innerhalb einer Woche nach seiner Festnahme wurde er vom Sondergericht III des Berliner Landesgerichts am 24. Juli 1941 als „Volksschädling“ zum Tode verurteilt und einen Tag später, am 25. Juli, im Zuchthaus Plötzensee durch das Fallbeil hingerichtet. Soweit in geraffter Form der Kriminalfall, der am Anfang des Krieges die Reichshauptstadt in Atem hielt.

Im Juni 2024 erschien der Film-Klassiker von 1974 endlich auf DVD
Bildquelle: PIDAX-Film

70er-Jahre-Verfilmung nun auch auf DVD

In den 1970er-Jahren nahm sich das Fernsehen dieses interessanten Falles an. Verfilmt wurde der historische Kriminalfall im Jahre 1974 unter dem Titel „Verdunkelung“. Die Erstausstrahlung im ZDF erfolgte am 31. Mai 1976.

Nun hat die PIDAX-Film diese TV-Rarität nach Jahrzehnten aus dem Archiv geholt und auf DVD neu herausgebracht. Ein Leckerbissen für alle diejenigen, die sich – so wie ich –  für das Gebiet „Wahre Verbrechen“ interessieren; auf BRD-Neudeutsch „True Crime“. Besonders interessant ist jedoch, dass hier filmisch die Taten eines Serientäters aufbereitet wurden, der im Dritten Reich tätig war und zudem das Parteiabzeichen und die SA-Uniform trug. Man hatte sich bei der filmischen Rekonstruktion der Tathergänge detaillierte Mühe gegeben, und das Drehbuch wurde sicher anhand der noch im Berliner Landesarchiv liegenden Gerichts- und Ermittlungsakten konzipiert, die zum Glück den Krieg überlebt haben.

Was bei dieser 70er-Jahre-Produktion manchmal nervt, ist die während der Handlung ab und zu unterlegte Mundharmonika-Musik, die besser in einen französischen Krimi à la „Kommissar Maigret“ gepasst hätte. Den S-Bahnm-Mörder hat man seltsamerweise in der TV-Produktion von Paul Ogorzow in Franz Osorsky umgetauft, den Nachnamen des ermittelnden Kommissars Lüdtke in Linke. Im Film wird Ogorzow alias Osorsky auf dem Betriebsbahnhof Rummelsburg verhaftet, wobei er auch noch einen Fluchtversuch unternimmt. Wahrscheinlich hat man hier filmisch einiges dramatisiert. In einer Dokumentation, die im Jahre 2012 über den S-Bahn-Mörder im Fernsehen lief, wird in einer nachgestellten Szene dargestellt, wie Ogorzow in seiner Wohnung in der Dorotheastraße 24 in Berlin-Karlshorst festgenommen wurde. Das Haus steht übrigens heute noch.

Kommissar Lüdtke alias Linke wird von dem im Jahre 2000 in Wien verstorbenen Berliner Schauspieler Joachim Kemmer dargestellt, der als die deutsche Synchronstimme von Humphrey Bogart bekannt war. Kemmer ist auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt. Der von ihm dargestellte Kommissar Lüdtke ist gegenüber seinem Vorgesetzten in der filmischen Darstellung immer etwas flapsig. Nach einem Gespräch mit ihm verabschiedet er sich auch nie mit der damals allgemein vorgeschriebenen Grußformel mit erhobenem rechten Arm. Sein Vorgesetzter ist nämlich kein Geringerer als der damalige Berliner Polizeipräsident, und dies war Graf Helldorf. Doch sein Name wird im Film nie erwähnt. Die Kriminalbeamten reden immer nur vom „Polizeipräsidenten“ oder vom „Chef“.

Ein anderer Kripobeamter verhört einen Homosexuellen auf die väterliche Tour und lässt durchblicken, dass er ihn nicht ins KZ bringen will. Irgendwie muss halt immer so eine Art verkappter Widerstand gegen die Regierung hineingemogelt werden… Als Abgesandter der Gestapo tritt ein Unsympath von SS-Sturmbannführer auf, der natürlich, als der S-Bahn-Mörder gefasst wurde, gleich zwei Ränge nach oben rutscht und dann zum Standartenführer mutiert.

Im Film ist man auch bemüht, etwas vom Alltag und dem Milieu der „kleinen Leute“ im damaligen Berlin während der Anfangszeit des Krieges nachzuzeichnen. Alles in allem ist „Verdunkelung“ eine gelungene Verfilmung des Falles um den Berliner S-Bahn-Mörder und jedem, der sich für wahre und historische Kriminalfälle interessiert, kann ich die filmische Aufarbeitung des Stoffes nur empfehlen. Die DVD kann man versandkostenfrei direkt bei www.pidax-film.de bestellen.

Erstveröffentlichung in N.S. Heute #44

Schreibe einen Kommentar