Die schon etwas länger das Internet Nutzenden erinnern sich bestimmt noch an die legendären „Löschwellen“ bei Facebook. Von einem Tag auf den anderen hatte man plötzlich über 100 „Freunde“ weniger in seiner Liste, und nicht selten war man selbst unter den Betroffenen. Neues Profil anlegen, Bilder wieder hochladen, Freunde wieder zusammensuchen – Facebook machte es politischen Dissidenten nicht gerade einfach, das „soziale Netzwerk“ überhaupt in irgendeiner Art und Weise nutzen zu können. Nach welchen Kriterien damals „gelöscht“ wurde, war für die Nutzer überhaupt nicht ersichtlich, und eine „Begründung“ bekamen die Nutzer auch nicht mitgeteilt.
Zwar ist die Zensur bei den globalen „Social Media“-Konzernen heute immer noch gängiger Standard – vor allem vor wichtigen Wahlen oder bei anderen bedeutsamen Ereignissen wie der Corona-Pandemie-Simulation wird die Zensurmaschinerie gegen politisch unbequeme Inhalte wieder aufgedreht –, doch die riesigen „Löschwellen“ früherer Zeiten gehören glücklicherweise der Vergangenheit an. Das liegt auch an einigen Gerichtsurteilen, die den sozialen Netzwerken klare Vorgaben gemacht haben, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, um Kommentare zu löschen und Nutzerkonten vorübergehend oder dauerhaft sperren zu können.
Das virtuelle Hausrecht
Die Betreiber sozialer Netzwerke sind private Konzerne, die nach den zivilrechtlichen Regelungen der Vertragsfreiheit grundsätzlich selbst entscheiden können, wer ihre Plattformen nutzen darf und wer nicht; man spricht hier auch vom „virtuellen Hausrecht“. Ein sogenannter „Kontrahierungszwang“, also eine gesetzliche Verpflichtung, jedem potentiellen Nutzer die Plattform zur Verfügung zu stellen, besteht nicht. Dies gilt nach der Rechtsprechung auch für jene Plattformen, die über eine an ein Monopol grenzende Marktmacht in ihrem Bereich verfügen. Ein solches „Quasi-Monopol“ hatte über einige Zeit Facebook inne, das seine Marktmacht mittlerweile allerdings deutlich eingebüßt hat.
Wenn sich die Betreiber eines sozialen Netzwerks allerdings dazu entscheiden, ihre Plattform grundsätzlich jedem Nutzer ab einem bestimmten Lebensalter zur Verfügung zu stellen, müssen sie sich in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) an gewisse Standards halten. Eine Kontensperrung darf dann nicht willkürlich erfolgen, sondern das Netzwerk muss die Meinungs- und Kommunikationsgrundrechte des Nutzers ebenso berücksichtigen wie ggfls. wirtschaftliche Auswirkungen (bei Unternehmenskonten) oder politische Chancengleichheit (bei Konten politischer Parteien). Auch bei privatrechtlichen Verträgen gilt nämlich die sogenannte „mittelbare Drittwirkung der Grundrechte“. Normalerweise verpflichten die Grundrechte zwar nur den Staat gegenüber seinen Bürgern, doch zumindest bei jenen sozialen Netzwerken, die über eine erhebliche Marktmacht verfügen, sind auch die gleichheitsrechtlichen Anforderungen aus Art. 3 Abs. 1 GG zu berücksichtigen.
Beliebte Zensurmittel: „Hassrede“ und Unterstützung von „Hassorganisationen“
Anbieter von sozialen Netzwerken sind berechtigt, ihren Nutzern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Einhaltung objektiver und überprüfbarer Kommunikations- und Gemeinschaftsstandards vorzugeben, und zwar auch dann, wenn diese Regeln über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen. Die Betreiber müssen sich also nicht auf das Verbot strafbarer Inhalte beschränken, sondern sie können z.B. auch solche Beiträge verbieten, die sich zwar innerhalb der (sowieso schon sehr engen) Grenzen der gesetzlichen Meinungsfreiheit bewegen, aber von anderen Nutzern als „extrem“, „provozierend“ oder „einschüchternd“ empfunden werden können – was natürlich immer im Auge des Betrachters liegt.
Zum Teil werden den Anbietern sozialer Netzwerke sogar gesetzliche Vorgaben gemacht, wann sie welche Inhalte auf ihren Plattformen löschen müssen. Diese Vorgaben finden sich u.a. im Telemediengesetz (TMG), dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) sowie im „Gesetz über digitale Dienste“ (GdD) – letzteres ist eine Verordnung der Europäischen Union, die auch unter ihrem englischen Namen „Digital Services Act“ (DSA) bekannt ist.
Zu den Kommunikations- und Gemeinschaftsstandards in sozialen Netzwerken gehört oft das Verbot sogenannter „Hassrede“ sowie das Verbot, Inhalte zu verbreiten, die sogenannte „Hassorganisationen“ oder „gefährliche Individuen“ unterstützen. Die „Blacklist“ von Facebook, auf denen solche Organisationen und Einzelpersonen aufgeführt sind, umfasst über 4.000 Einträge. Die Liste wurde von dem Konzern jahrelang unter Verschluss gehalten, jedoch im Jahre 2021 „geleakt“ und auf der Plattform „The Intercept“ veröffentlicht. Von den über 4.000 Einträgen fallen etwas über die Hälfte in die Kategorie „Terrorismus“, die anderen Einträge teilen sich auf in die Kategorien „Verbrechen“, „Hass“, „militarisierte soziale Bewegungen“ und „gewalttätige nicht-staatliche Akteure“.
Zu den sogenannten „Hassorganisationen“ in Deutschland zählt Facebook sehr viele Musikgruppen, aber auch die politischen Parteien „Der III. Weg“ und „Die Rechte“, die „Jungen Nationalisten“ (JN), die „Identitäre Bewegung“, einige oppositionelle Nachrichtenplattformen, die Bürgerrechtsorganisation „EinProzent“, ja selbst nationale Umweltschutzorganisationen und Bekleidungsmarken. „Gefährliche Individuen“ in der Kategorie „Hass“ sind u.a. die Aktivisten Christian Worch, Martin Sellner, Michael Brück und der 2021 verstorbene Siegfried Borchardt, der nationale Rapper „MaKss Damage“ sowie die Sänger Frank Rennicke und Hannes Ostendorf („Kategorie C“). – Auffallend ist, dass Facebook ausschließlich rechte/patriotische/nationale Organisationen und Einzelpersonen in seiner „Hassliste“ führt und keinen einzigen Linksextremisten, was die deutliche politische Schlagseite dieses Globalisten-Konzerns unterstreicht. Wir können zudem davon ausgehen, dass die Liste seit dem „Leak“ im Oktober 2021 noch einmal deutlich erweitert worden ist.
Welche Vorgehensweise soziale Netzwerke einhalten müssen
Sobald ein Verstoß gegen die Kommunikations- und Gemeinschaftsstandards vorliegt, wie sie der jeweilige Anbieter eines sozialen Netzwerks in seinen AGB festgeschrieben hat, können einzelne Beiträge entfernt werden. Das Nutzerkonto kann auch vorübergehend oder dauerhaft gesperrt werden, jedoch nur dann, wenn dafür ein sogenannter „wichtiger Grund“ vorliegt.
In der Regel muss der Nutzer allerdings zuvor durch den Anbieter abgemahnt werden. Eine solche vorherige Abmahnung ist nur in begrenzten Ausnahmefällen entbehrlich, z.B. bei besonders gravierenden Vertragsverletzungen (z.B. strafbaren Inhalten) oder bei offensichtlicher Zwecklosigkeit der Abmahnung (wenn der Nutzer z.B. gegenüber dem Anbieter erklärt, sich ohnehin nicht an die Kommunikationsstandards halten zu wollen).
Sofern keine „gravierende Vertragsverletzung“ vorliegt, die eine Abmahnung entbehrlich machen würde, müssen sich die sozialen Netzwerke an die folgende Handlungsweise halten:
- Der Nutzer ist über die Entfernung eines Beitrags unverzüglich nachträglich und ggfls. über die beabsichtigte Sperrung des Nutzerkontos vorab zu informieren.
- Ihm müssen die Gründe dafür mitgeteilt werden.
- Der Nutzer muss dann die Möglichkeit haben, dazu Stellung zu nehmen.
- An die Stellungnahme muss sich eine erneute Entscheidung des Anbieters anschließen mit der Option, einen entfernten Beitrag auch wieder zugänglich zu machen, wenn sich herausstellt, dass doch keine Kommunikationsstandards verletzt worden sind.
Halten sich die sozialen Netzwerke nicht an diese Regeln, können sie von den Gerichten dazu verpflichtet werden, entsprechende Beiträge wieder einzustellen und die Nutzerkonten wieder freizuschalten.
Siehe hierzu auch die folgenden Gerichtsentscheidungen:
BGH, Urteile vom 29.07.2021, Az. III ZR 179/20, III ZR 192/20
OLG Karlsruhe, Urteil vom 04.02.2022, Az. 10 U 17/20
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Gerichtsentscheidungen zum Nachteil von Nutzern sozialer Medien
In diesen Fällen haben Gerichte entschieden, dass die jeweiligen Kommentare gelöscht und/oder die Nutzerkonten vorübergehend oder dauerhaft gesperrt werden durften:
Facebook durfte den Kommentar eines Nutzers mit dem Inhalt „Flüchtlinge: So lange internieren, bis sie freiwillig das Land verlassen!“ löschen und das Nutzerprofil für 30 Tage sperren, da es sich um „Hassrede“ handelte.
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25.06.2018, Az. 15 W 86/18
Eine Facebook-Nutzerin hatte einen Beitrag zum Thema Integration mit den folgenden Worten kommentiert: „Respekt! Das ist das Schlüsselwort! Für fundamentalistische Muslime sind wir verweichlichte Ungläubige, Schweinefresser und unsere Frauen sind Huren. Sie bringen uns keinen Respekt entgegen.“ Das Gericht hat entschieden, dass Facebook den Kommentar löschen und das Profil der Nutzerin für 30 Tage sperren durfte, da es sich um „Hassrede“ gegen „fundamentalistische Muslime“ handelte.
LG Heidelberg, Urteil vom 28.08.2018, Az. 1 O 71/18
Ein Facebook-Nutzer hatte als Reaktion auf einen Online-Artikel der Zeitung „Welt“ über gewaltsame Ausschreitungen von Asylforderern folgenden Kommentar abgesetzt: „Wasser marsch, Knüppel frei und dann eine Einheit Militärpolizisten! Dann ist schnell Ruhe! Und jeden ermittelten Gast Merkels ab in die Heimat schicken.“ Facebook löschte den Kommentar und sperrte das Profil des Nutzers für 30 Tage. Das Gericht entschied, dass es sich bei dem Kommentar zwar um eine zulässige Meinungsäußerung i.S.d. Art. 5 GG handelte, aber der Beitrag dennoch die Merkmale einer „Hassrede“ erfüllen würde, sodass die Sperrung des Profils für 30 Tage zulässig war.
LG Frankfurt, Beschluss vom 10.09.2018, Az. 2-03 O 310/18
Das OLG Dresden hat entschieden, dass die Einstufung der „Identitären Bewegung“ sowie der Bürgerrechtsplattform „EinProzent“ als „Hassorganisation“ wirksam ist und dass es untersagt werden darf, auf Facebook und Instagram für diese Organisationen zu werben.
OLG Dresden, Urteil vom 16.06.2020, Az. 4 U 2890/19
Ein Nutzer hatte bei Facebook den folgenden Kommentar geschrieben: „Andreas WER? Landet jetzt jeder Mist eines Vollcovidioten hier zum sich drüber aufregen?“ Das Gericht entschied, dass es sich bei der Bezeichnung als „Vollcovidiot“ um eine strafbare Beleidigung gem. § 185 StGB handelte und der Beitrag deshalb gelöscht werden durfte.
OLG Karlsruhe, Urteil vom 26.05.2023 – 10 U 24/22
Gerichtsentscheidungen im Sinne der Nutzer sozialer Medien
In den folgenden Fällen haben Gerichte entschieden, dass die betreffenden Kommentare nicht gelöscht und/oder die Nutzerprofile nicht vorübergehend oder dauerhaft gesperrt werden durften:
Auf der Facebook-Seite der Partei „Der III. Weg“ war im Januar 2019 ein Beitrag zu lesen, in dem es u.a. hieß: „Während nach und nach immer mehr art- und kulturfremde Asylanten in Wohnungen in den dortigen Plattenbauten einquartiert werden, die mitunter ihre Dankbarkeit mit Gewalt und Kriminalität Ausdruck verleihen, haben nicht wenige Deutsche im Viertel kaum Perspektiven (…).“ Daraufhin schränkte Facebook die Sichtbarkeit des Beitrags wegen vermeintlicher „Hassrede“ ein, sperrte das Veröffentlichen von Beiträgen für 30 Tage und löschte das Nutzerkonto schließlich vollständig. Das BVerfG verpflichtete Facebook in einem Eilverfahren, die Seite zumindest bis zum Wahltermin der Europawahl am 26. Mai 2019 vorläufig zu entsperren und die Nutzung der Funktionen wieder zu ermöglichen, da der Partei ansonsten wesentliche Möglichkeiten versagt wären, im Hinblick auf die Europawahl ihre politischen Botschaften zu verbreiten und mit Nutzern des sozialen Netzwerks aktiv in Diskurs zu treten.
BVerfG, Beschluss vom 22.05.2019, Az. 1 BvQ 42/19
Die Bezeichnung eines Mitglieds des „Zentralrats der Muslime“ als „feige“ im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung stellt keine „Hassrede“ dar. Das Gericht hat Facebook dazu verpflichtet, den gelöschten Kommentar wieder einzustellen.
OLG Oldenburg, Urteil vom 01.07.2019, Az. 13 W 16/19
Facebook hatte in zwei Fällen Beiträge eines Nutzers mit positiven Bezügen zur „Identitären Bewegung“ gelöscht und das Nutzerkonto vorübergehend gesperrt. Nach einem weiteren, ähnlich gelagerten Beitrag wurde das Profil dauerhaft deaktiviert. Das Gericht hat Facebook dazu verpflichtet, die Sperrung aufzuheben und das Konto zu reaktivieren – allerdings nicht deshalb, weil es sich um zulässige Meinungsäußerungen handelte, sondern weil Facebook es versäumt hatte, den Nutzer vorher abzumahnen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
OLG Karlsruhe, Urteil vom 04.02.2022, Az. 10 U 17/20
Ein Nutzer veröffentlichte in dem sozialen Netzwerk „LinkedIn“ eine Studie von Prof. Dr. Peter Doshi, eines im Bereich der pharmazeutischen Forschung weltweit anerkannten Wissenschaftlers. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass das Risiko, einen schwerwiegenden Impfschaden durch eine mRNA-Behandlung gegen Covid-19 zu erleiden, größer ist als das Risiko, ungeimpft wegen einer Covid-19-Infektion im Krankenhaus zu landen. LinkedIn löschte den Beitrag wegen angeblicher „Falschinformationen“ und sperrte den Netzwerkzugang des Nutzers. Das Gericht verurteilte LinkedIn dazu, den Beitrag und das Nutzerprofil wieder freizuschalten. Zwar „drückte“ sich das Gericht davor, den Wahrheitsgehalt der Studie zu überprüfen, erkannte aber immerhin einen Verfahrensfehler in den AGB von LinkedIn, weil dem Nutzer kein ausreichendes Verfahren zur Stellungnahme zur Verfügung gestellt wurde.
KG Berlin, Beschluss vom 20.02.2023, Az. 10 W 85/22
Liken als Straftat
Im Übrigen kann bereits das bloße „Liken“ eines fremden Beitrags strafbar sein, wenn nämlich der ursprüngliche Beitrag selbst strafbare Inhalte enthält. Das LG Meiningen führte in einer Entscheidung vom August 2022 aus, das „Liken“ sei eine „hinreichende Ausrichtung bzw. Kundgabe der Befürwortung der Äußerungen“ in Bezug auf den ursprünglichen Beitrag. Deshalb sei bei einem „Gefällt mir“ regelmäßig davon auszugehen, dass sich der Nutzer die Äußerung im „gelikten“ Beitrag selbst zu eigen macht.
LG Meiningen, Beschluss vom 05.08.2022, Az. 6 Qs 146/22
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Erstveröffentlichung in N.S. Heute #42
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