„Die Angeklagten amüsieren sich prächtig über die Mühen der Justiz“ – Der Stuttgarter Bewegungsprozess 1991-1995

Repression damals und heute: Vereinsverbote gegen die nationale Bewegung gibt es praktisch seit Bestehen der BRD. Das linkslastige Online-Lexikon Wikipedia zählt in der „Liste in Deutschland verbotener rechtsextremer Organisationen“ über 100 Gruppierungen auf, die zwischen 1951 und 2023 verboten worden sind. Christian Malcoci erinnert sich für die N.S. Heute an einen der aufsehenerregendsten Polit-Prozesse gegen die nationale Opposition, den sogenannten „Stuttgarter Bewegungsprozess“, der in zwei Anläufen zwischen 1991 und 1995 vor dem Landgericht Stuttgart verhandelt wurde.

Als es am 2. März 1988 um 6 Uhr an meiner Wohnungstür klingelte und vor dem Haus Streifenwagen zu sehen waren, dachte ich, es wäre eine der üblichen Hausdurchsuchungen. Es war aber das LKA Baden-Württemberg, das weit angereist war, um zu durchsuchen. Wie ich später erfuhr, nicht nur bei mir, sondern auch in 92 anderen Wohnungen.

Bei dem Ermittlungsverfahren ging es um den mir bis dahin unbekannten § 85 StGB, „Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot“, Strafandrohung bis fünf Jahre Haft. Das funktioniert so: Nachdem ein Verein oder eine Partei rechtskräftig verboten wird – das war in unserem Fall das Verbot der „Aktionsfront Nationaler Sozialisten / Nationale Aktivisten“ (ANS/NA) im Jahr 1983 –, wird beobachtet, ob die verbotene Vereinigung weiter aufrechterhalten wird. Geprüft wird, ob die Struktur oder die Personenzusammensetzung oder die Ziele fortgeführt werden. Auch der Versuch ist strafbar. Es ist nicht notwendig, dass ein Beschuldigter bereits Mitglied der verbotenen Vereinigung war. Zum Beispiel mein damaliger Mitangeklagter Friedhelm Busse war zur Zeit der ANS/NA im Gefängnis und wurde später trotzdem wegen der Aufrechterhaltung verurteilt. Da die Prozesse grundsätzlich vor einer Staatsschutzkammer beim Landgericht stattfinden, wird vieles tendenziell zu Ungunsten der Angeklagten ausgelegt. Rein passive Mitglieder oder Leser der Zeitschrift des verbotenerweise aufrechterhaltenen Vereins machen sich aber nicht strafbar.

Die dann bei der Durchsuchung gefundene durchgeladene und entsicherte Pistole samt zusätzlicher Munition war meiner Meinung nach gut versteckt und sollte eigentlich eine Überraschung für Angreifer sein. Die Waffe wurde am nächsten Tag in der Zeitung erwähnt, so war auch die Überraschung dahin. Geradezu überrascht waren die Beamten aber, einen PC vorzufinden, damals eine Seltenheit. Ich hatte mir schon 1985 einen der ersten Nachbauten des Ur-PCs von IBM gekauft, damals noch ohne Festplatte, nur mit zwei Diskettenlaufwerken: In einem Laufwerk wurde das Betriebssystem MS-DOS gestartet, dann wurde im zweiten Laufwerk eines der wenigen Programme geöffnet, damals der neueste Stand der Technik. Später hörte mein Anwalt, dass das LKA den PC zur Schulung verwendete und ihn keinesfalls zurückgeben wollte.

Ausschnitt aus einem Artikel über die Razzia aus der Neuss-Grevenbroicher Zeitung vom 05.03.1988

Der Ur-PC IBM-AT, Ursprung aller Nachbauten und Weiterentwicklungen bis zu den heutigen PCs, mit 8 MB Arbeitsspeicher, 5,25-Zoll-Laufwerken mit jeweils 360 KB und einfarbigem Bildschirm mit grüner Schrift auf schwarzem Grund
© MBlairMartin, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0

Untersuchungshaft

Ich war wiederum überrascht zu erkennen, dass zwischen den Durchsuchungsunterlagen der Polizisten rote Blätter hervorblitzten, ein untrüglicher Hinweis auf einen Haftbefehl, einer von vier Haftbefehlen, die an diesem Tag vollstreckt wurden. So fand ich mich dann am Nachmittag in Handschellen in einem Wagen des LKA auf dem Weg in die Untersuchungshaft im damaligen Hochsicherheitsgefängnis Stuttgart-Stammheim. Schließlich fand auch meine Vorführung beim Haftrichter am nächsten Tag wie dort üblich in einer gewöhnlichen Gefängniszelle statt, wo der Richter sein beengtes Büro mit Schreibtisch und Aktenschrank hatte. Später wurde ich in die JVA Pforzheim verlegt, wo sich herumsprach, weswegen ich dort war und schnell neue Bekanntschaften gefunden waren, unter anderem die Freunde des damaligen Box-Europameisters im Leichtgewicht René Weller, die im Rotlicht und im Knast die Könige waren, sodass sich mein Aufenthalt dort sehr angenehm gestaltete.

Doch der Tag der Entlassung aus der Untersuchungshaft kam näher und die Staatsanwaltschaft versuchte, mir den Entlassungstag zu vermiesen: Vor dem Besuch meiner Familie erschienen zwei Herren, die sich als Beamte des Innenministeriums vorstellten und mir sagten, dass ich mich ausführlich mit ihnen unterhalten müsse, damit ich noch Besuch von meiner Familie bekäme. Ich lehnte schroff ab und siehe da, meine Familie konnte trotzdem erscheinen. Da wusste ich noch nichts von der Entlassung und meine Familie fuhr anschließend ins Rheinland zurück. Ich war dann wieder auf meiner Zelle und dachte, dass der Tag gelaufen sei, als die Tür gegen 18 Uhr wieder geöffnet wurde, „Sie sind entlassen“. Ich ärgerte mich zwar, dass ich nicht mit meiner Familie nach Hause fahren konnte, aber die Staatsanwaltschaft hatte erst am frühen Abend das Fax zur Entlassung geschickt. Ich wollte dann mein Geld auf der Kasse abheben und mit dem Zug nach Hause, aber die Kasse war schon zu und ich wurde ganz ohne Geld auf die Straße gesetzt. Die Bahnhofsmission hatte aber Verständnis für den mittellosen Haftentlassenen und ich bekam eine Fahrkarte nach Hause.

Prozessmarathon

Die Angelegenheit geriet bei uns in Vergessenheit, aber Anfang des Jahres 1991 begann die Hauptverhandlung vor der Staatsschutzkammer beim Landgericht Stuttgart wegen Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot nach § 85 StGB gegen elf Kameraden. Schon in den ersten Verhandlungstagen meinte die Staatsanwältin bekanntgeben zu müssen, welche Strafe sie sich für uns vorstellte, meist Haftstrafen über drei Jahre. Daraufhin sprang ein mitangeklagter Kamerad hinter mir auf und rief: „Dafür hätte ich in Holland einen Banküberfall machen können!“ So waren die Fronten schnell geklärt und wir versuchten an über 150 Verhandlungstagen mit unzähligen Beweisanträgen, unsere Unschuld zu beweisen, was von den Medien und vom Gericht als Verschleppung des Verfahrens gewertet wurde.

Der SPIEGEL 16/1993 schrieb dazu: „Die Angeklagten amüsieren sich prächtig über die Mühen der Justiz. Swierczek sieht den Prozess als ‚hilfreiche wöchentliche Lehrstunde in Recht, und das auf Kosten des Steuerzahlers‘. Außerdem lasse sich in den vielen Kaffeepausen mit den Kameraden doch ‚einiges politisch managen‘ – ähnlich dreist haben bisher nur RAF-Anhänger den Rechtsstaat verspottet.“ Der Präsident des Oberlandesgerichts a.D. Dr. Rudolf Wassermann ging im Artikel „Wie Rechtsextremisten die Justiz als Papiertiger vorführen“ in der WELT vom 03.03.1994 noch weiter: „Was sich die Verteidigung in Stuttgart leistet, geht jedoch über die ‚Konfliktverteidigung‘ in den Terroristenprozessen der 70er-Jahre hinaus. Nicht nur, dass die Justiz lächerlich gemacht werden soll. Verständlicherweise fragen sich die Behörden, ob es überhaupt noch Sinn hat, die Strafjustiz im Kampf gegen den Rechtsextremismus einzusetzen.“

Nicht nur im Gericht, auch auf der Straße wehrten wir uns. Das Antifaschistische Infoblatt Nr. 24 schrieb damals: „Am 12. Juni 1993 konnten laut Verbotsverfügung [der im Stuttgarter Bewegungsprozess Mitangeklagte – Anm. d. Red.] Rossiar und mindestens fünf weitere bewaffnete HVD-Mitglieder [„Heimattreue Vereinigung Deutschlands“ – Anm. d. Red.] ‚durch polizeilichen Gewahrsam gerade noch daran gehindert werden, gemeinsam mit anderen Rechtsextremisten gewaltsam‘ die bundesweite Antifa-Demonstration zum ANS/NA-Prozess in Stuttgart anzugreifen.“

Das war bis dahin der größte Prozess gegen unsere Bewegung in der Nachkriegszeit – später nur noch übertroffen vom Koblenzer Prozess gegen das Aktionsbüro Mittelrhein. In Koblenz wurde die schärfere Version der Repression gegen unsere Vereinigungen praktiziert: Der Vorwurf lautete „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ nach § 129 StGB. Dazu ist kein vorheriges Verbot notwendig, und der schwere Vorwurf rechtfertigt mehr und längere Überwachungsmaßnahmen und eher Untersuchungshaft, im Koblenzer Fall fast zwei Jahre für dutzende Kameraden. Dass der Koblenzer Prozess nach über 300 Verhandlungstagen ergebnislos beendet wurde, war ein Erfolg, aber nicht von Bedeutung, die Angeklagten hatten ihre Bestrafung schon mit der Untersuchungshaft bekommen.

Doch zurück zu unserem Prozess in Stuttgart. Nach drei Jahren und über 150 Verhandlungstagen musste auch dieser Prozess im Jahr 1994 aus formalen Gründen ergebnislos beendet werden. Bei uns begann der Prozess im Jahr 1995 aber wieder von vorne, und der neue Vorsitzende Richter ließ über die Anwälte mitteilen, dass er sich nicht von uns und unseren Anwälten auf der Nase rumtanzen ließe.

Die BILD am SONNTAG vom 26.06.1994 übertrieb mal wieder, um Stimmung zu machen

Scheingeständnis und Urteil

Nach Rücksprache mit den anderen Angeklagten waren wir dann mit einer kurzen Prozessdauer einverstanden, falls alle Angeklagten Bewährungsstrafen bekämen – eine schwierige Forderung angesichts der Vorstrafen. Der Vorsitzende Richter war einverstanden, ein kurzes Geständnis wäre aber notwendig für eine einvernehmliche Lösung.

Ich bereitete mich also auf mein Scheingeständnis vor, sinngemäß hätte ich erst in der Hauptverhandlung die rechtliche Tragweite erfasst und so weiter. Als es dann zur öffentlichen Befragung in der Verhandlung kam, wiederholte ich nur die bereits im Prozess ausführlich bewiesenen Vorwürfe. Doch dann hörte der Vorsitzende Richter nicht auf zu fragen und ich begann mit meiner wirklichen Meinung zu antworten, sprach von Verbotsirrtum, dem Irrtum des Täters über die Widerrechtlichkeit seiner Handlung. Um mich wieder auf den Pfad des Geständnisses zurückzubringen, sagte der Vorsitzende Richter: „Wenn man Sie so hört, könnte man meinen, Sie fühlen sich unschuldig.“ So provoziert sagte ich darauf: „Wenn Sie mich so direkt fragen, ja, ich bin unschuldig.“ Es war ein Rieseneklat in Anwesenheit der Medien, die Verhandlung wurde vertragt, die Anwälte wurden ins Richterzimmer bestellt. Im zweiten Anlauf nahm der Vorsitzende Richter Rücksicht auf meinen sehr begrenzten Willen zum Scheingeständnis und wir konnten den Stuttgarter Bewegungsprozess nach über vier Jahren mit Bewährungsstrafen für alle beenden.

Das Gericht bewertete in der Urteilsbegründung mein Geständnis als Beschönigungsversuch und widersprach dem von mir vorgetragenen Verbotsirrtum, ich bekam anderthalb Jahre auf Bewährung. In den Verhandlungen mit der Staatsschutzkammer wollten wir eigentlich auch die Gerichtskosten in Höhe von insgesamt über zwei Millionen Mark loswerden. Das gelang aber nicht, die Kostenfolge sei gesetzlich festgelegt und nicht verhandelbar, hieß es. Ich habe aber die Mahnungen der Gerichtskasse immer ignoriert, Pfändungen waren erfolglos und ich habe nie eine Mark gezahlt.

Beliebter Witz unter unseren Anwälten

Fazit

Repressionen gegen Gruppen, Zusammenschlüsse und Vereinigungen von Kameraden gab es schon immer. Ob in der Form des § 85 StGB (Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot) oder in der schärferen Form des § 129 StGB (Bildung einer kriminellen Vereinigung), das Ziel ist, die Kameraden von der politischen Arbeit und vom kameradschaftlichen Zusammenhalt abzuhalten. Es ist immer zu bedenken, dass nicht nur ein paar dutzend Verhaftete und Angeklagte betroffen sind, es werden viele damit eingeschüchtert, die sich still und leise zurückziehen, sodass mit jeder Repressionswelle wesentliche Rückschläge verbunden sind.

Die meisten Bewegungen fallen bei solchen Repressionen sofort in sich zusammen und verschwinden von der Bildfläche. Unser Vorteil ist, dass wir in den vergangenen Jahrzehnten schon durch viele Repressionen gegangen sind, denn mit Erfahrung und Standhaftigkeit finden sich immer Wege.

Erstveröffentlichung in N.S. Heute #40

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