Une tête d‘anarchiste et un coeur de légionnaire (Der Kopf eines Anarchisten und das Herz eines Legionärs)
Es gibt viele rechte Sachbücher, noch mehr rechte Theoriewerke, wenig rechte belletristische Literatur und noch weniger rechte Belletristik, die nicht nur ein zugänglicher geschriebenes Theoriewerk ist und nach dem immer gleichen Schema mit den immer gleichen Charaktertypen und immer gleichen Dialogen verläuft. Der Jungeuropa-Verlag liefert etwas Neues, das einige wahrscheinlich streitbar finden werden, aber der Realität doch viel näher kommt als die Wunschwelten zwischen so manchem Buchdeckel. Am besten könnte man das Buch wohl als Mischung aus „Fight Club“ und „Fear and Loathing in Las Vegas“ beschreiben.
Der Protagonist, ein junger rechtsoffener Architekt, verliert auf sehr skurrile Weise seinen Job und erhält durch den verlegerisch tätigen Vater eines aktivistischen Freundes eine neue Stelle. Sein Auftrag: Er soll einen spannenden und wertfreien Bericht über rechte Jugendbewegungen in Europa schreiben. So weit, so vermutlich eher langweilig, doch die Reise nach Lyon, Wien und Rom entpuppt sich als ein absurder, asozialer Trip mit kauzigen Charakteren, viel Gewalt, vielen derben Sprüchen, sehr vielen Kraftausdrücken, noch mehr Alkohol und besonders erfrischend: sehr viel Humor. „Auswärts sind wir asozial“ und auswärts ist alles, außerhalb der eigenen vier Wände.
Hoewer möchte hier keinen Propagandaroman abliefern. Die haben wir bereits zuhauf. Es ist ein unterhaltsamer Roman, mehr Gegenkultur, Lifestyle und Haltung als Weltanschauung. Die politischen Aussagen und Dialoge kann man an einer Hand abzählen, dafür ist vor allem das Gespräch des Protagonisten und einem Aktivisten in Rom eine Perle, die es wert ist, eine Bewegung auf ihr aufzubauen: fort mit dem Vergangenen, Gescheiterten und (Un)toten. „Links und rechts lösen den Knoten nicht, sie ziehen ihn nur fester“, so der Aktivist. Die Lösung? „Man muss selbst das Schwert sein. In seiner eigenen Mitte, seinem eigenen Zentrum. Und von ganz oben kommen.“ Ein Appell an die schöpferische, kämpferische und ästhetische Bewegung, die es im deutschsprachigen Raum (noch?) nicht gibt, die nur in einzelnen Personen und kleinen Gruppen lebt.
Die politischen Schlüsse und Kritik an der Rechten kommen in dem Buch nicht mit dem Holzhammer daher. Wenn man über all das Absurde und Asoziale gelacht hat, bleibt Nachdenklichkeit zurück. Wie nutzen die Franzosen und Italiener ihre Zentren und wie nutzen sie die Deutschen in der BRD und Österreich? Welches Bild geben die Deutschen auf der Straße ab, welches die Italiener?
Diese Unterschiede und die Mentalität der Völker machen sich auch im Schreibstil bemerkbar. Wo die Deutschen besonders derb sind, klingt es in Frankreich kämpferischer und in Italien poetischer. Aber: Landsknechtsjargon beherrschen sie alle. Das intellektuelle Kreisgewichse der Lesekreise mit ihrem weltfremden Jahrhundertwendevokabular ist auf den Straßen nicht zu finden.
Die 360 Seiten lesen sich flüssig und schnell, sodass auch Wenigleser nicht abgeschreckt sein müssen. Wer einfach unterhalten werden will, wird seine helle Freude haben und wer zwischen den Zeilen liest, das Buch vielleicht zweimal zur Hand nimmt und vergleicht, der wird den ein oder anderen Denkanstoß mitnehmen. EuropaPowerbrutal macht seinem Namen alle Ehre!
Erstveröffentlichung in N.S. Heute #26
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